Mutter starb nach mangelhafter Pflege: Kein Prozess gegen Sohn

06. Juni 2024
Sohn hatte wund gelegene Mutter (87) völlig unzureichend versorgt. Warum die Staatsanwaltschaft nun aber von einer Anklage Abstand nimmt.
Es ist ein erschütternder Fall: Am 24. Juli 2021 starb im Pongau eine dort seit Langem lebende 87-jährige Deutsche, nachdem sie – wie ein späteres krankenpflegerisches Gutachten ergab – zumindest von Mai 2019 an völlig mangelhaft gepflegt und versorgt worden war. Die Seniorin war zum Todeszeitpunkt stark abgemagert, vor allem linksseitig massiv wund gelegen und ausgetrocknet.
Tatsache ist weiters, dass der 60-jährige Sohn der Frau Ende 2018 von seiner Heimat Deutschland nach Österreich gezogen und dann gemeinsam mit seiner Mutter in einem Appartement im Pongau gewohnt hatte. Und Faktum ist auch, dass der Sohn nach relativ langen Ermittlungen dann im Herbst 2023 von der Staatsanwaltschaft Salzburg im Zusammenhang mit dem Tod seiner Mutter angeklagt worden war.
Laut zuständigem Staatsanwalt habe der 60-Jährige zumindest bereits von Mai 2019 an seine Verpflichtung zur Pflege und Fürsorge der seit Längerem bettlägerigen und zunehmend dementen Mutter gröblich vernachlässigt. Dadurch habe er, wenn auch fahrlässig, ihre Gesundheit beträchtlich geschädigt; wobei sein Handeln – bezogen auf die Fürsorgepflicht eigentlich Nicht-Handeln – letztlich ihren Tod zur Folge gehabt habe. Im Strafrechtsjargon lautete die Anklage auf „Quälen oder Vernachlässigen wehrloser, unmündiger oder jüngerer Personen mit Todesfolge“gemäß Paragraf 92 Strafgesetzbuch. Strafrahmen: ein Jahr bis zehn Jahre Haft.
Inzwischen kam es aber zu einer ungewöhnlichen Wende in dem Verfahren. Wie Rechtsanwalt Christoph Mandl, Verteidiger des 60-Jährigen, auf SN-Anfrage bestätigte, wurde der zuständigen Richterin bzw. der zuständigen neuropsychiatrischen Gerichtsgutachterin „zwischenzeitlich die Krankengeschichte des Sohnes aus Deutschland übermittelt. Derzufolge litt er in seiner Heimat schon lange an schweren Depressionen.“
Aufgrund des Studiums der eingelangten deutschen Krankenakte und einer neuerlichen bzw. ergänzenden Untersuchung des 60-Jährigen kam die renommierte Neuropsychiaterin Gabriele Wörgötter kürzlich zu dem Ergebnis, dass beim Sohn im inkriminierten Tatzeitraum (Mai 2019 bis Juli 2021) „Zurechnungsunfähigkeit gemäß Paragraf 11 Strafgesetzbuch“vorgelegen habe. Er sei demnach wegen seiner krankheitswertigen psychischen Störung unfähig gewesen, „das Unrecht seiner Tat(en) einzusehen oder einsichtsgemäß zu handeln“. Aufgrund der für die Tatzeiten diagnostizierten Zurechnungsunfähigkeit und der damit einhergehenden Unfähigkeit für schuldhaftes Handeln trat die Staatsanwaltschaft von der Anklage zurück. Mit der Folge, dass das Landesgericht bzw. die zuständige Richterin das Verfahren Ende Mai einstellte.
SN-Recherchen zufolge war das Appartement, in der Mutter und Sohn lebten, nach dem Tod der Seniorin stark verwahrlost gewesen. Dem von der Staatsanwaltschaft eingeholten krankenpflegerischen Sachverständigengutachten zufolge war die 87-Jährige stark ausgetrocknet und stark wund gelegen. Laut Ermittlungen hatte der Sohn die an ihn gerichteten Betreuungsangebote von Hilfswerk und Seniorenheim nicht angenommen. „Mein Mandant war aufgrund schwerer Depression nicht zurechnungsfähig.“
Salzburger Nachrichten
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